Kanzelrede von Christian Meyer in der Lutherkirche Holzminden am 27.09.2014

Liebe Kirchengemeinde,

es ist für mich etwas ganz besonderes hier heute die Kanzelrede zu den Seligpreisungen Jesu im Lutherjahr zu halten. Ich bin hier in der Lutherkirche vor 39 Jahren getauft und später konfirmiert worden. Ich wohne mein Leben lang in der Grabenstraße und gehöre daher zu dieser Gemeinde. Mein Vater wurde am Kirchplatz 11 geboren und verstarb leider viel zu früh. Mit dieser Kirche sind viele Erinnerungen verbunden.

Seit knapp über einem Jahr bin ich jetzt für die Menschen im Land Niedersachsen Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Also ganz elementare Angelegenheiten, die Grundlagen des Lebens, Gottes Schöpfung und die Ernährung, die Urproduktion. 

Was ist drin im Essen, welche Gefahren gibt es, wie gehen wir mit Tieren, den Lebewesen Gottes um. Oder ganz profane Angelegenheiten wie ein Schulobstprogramm der EU, mit dem wir zum Beispiel die Grundschulen in Holzminden dreimal die Woche mit Obst und Gemüse beliefern wollen. Warum tun wir das? Kinder sollen sich zum einen gesünder ernähren, aber auch lernen Lebensmittel nicht wegzuwerfen, sondern wertzuschätzen.

6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Diesen Satz aus den Seligpreisungen Jesu habe ich mir für meine Rede heute ausgesucht. Er stammt aus Matthäus 5, Satz 6 und aus der Bergpredigt, der Rede von der wahren Gerechtigkeit.

Was sagt er uns heute?

Ausgerechnet die Hungrigen und Durstigen sind selig? Und Gerechtigkeit macht satt?

In den nächsten Tagen feiern wir Erntedankfest. Dank für Gottes Schöpfung, aber auch Dank für die Arbeit unserer Landwirte und Lebensmittelerzeuger. Es geht um Wertschätzung und Wertschöpfung unserer Lebensmittel.

Ohne Landwirte, keine Ernte, ohne Ernte, keine Nahrung, Ohne Nahrung, kein Leben. 

Aber es geht auch um Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn wir hier in Deutschland im Überfluss leben und gleichzeitig eine Milliarde Menschen auf dieser Erde hungern? Ich meine nein. Die Hungernden dürsten nach Gerechtigkeit, heißt es in der Bibel. Denn sie sollen satt werden. Das heißt für mich auch die Verpflichtung der Christen an den nächsten zu Denken und gerecht zu teilen. Wir haben genügend zu Essen und zu Trinken auf der Erde. Während wir in Europa ein Drittel unserer Lebensmittel nutzlos wegwerfen, weil uns die Gurke zu krumm, die Kartoffel zu klein oder wir mal wieder viel zu viel in den Kühlschrank getan haben, hungern in Afrika, Asien und Südamerika Millionen Kinder und leben in Unterernährung.

Im  Vater unser heißt es: Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Essen kommt hier also gleichzeitig mit Schuld und vergeben der Schuld anderer.

Was hat das mit einem Landwirtschaftsminister und unserem Land zu tun? In Niedersachsen leben 2,5 Millionen Rinder, 10,5 Millionen Schweine und über 100 Millionen Hühner, Puten und Enten, letztere überwiegend in großen industriellen Mastanlagen. 25 Hühner auf einem Quadratmeter, Muttersauen in einem Kastenstand in dem sie sich nicht umdrehen können. Anders als zur Zeit der Bergpredigt haben wir die Schöpfung in unserem Interesse verändert. Heute haben wir Hühner die jeden Tag ein Ei legen und Kühe die 15.000 Liter Milch im Jahr geben. 1955 gab eine Kuh im Schnitt nur 4.000 Liter pro Jahr. 

Und wir mästen keine männliche Hähnchen mehr, sondern männliche und weibliche Hybridtiere, die im Schnellwachstum innerhalb von 30 Tagen zu halben Hähnchen werden. Puten haben mittlerweile Skelettdeformationen weil sie so gezüchtet sind, dass sie ein Drittel ihres Gewichts als Brustfleisch ausbilden.

Und was passiert mit den männlichen Küken? Von 60 Millionen männlichen Küken, die in Niedersachsen im Jahr in den Brütereien schlüpfen, werden nur 40.000 lebend abgegeben. Alle anderen männlichen Küken werden am ersten Tag ihres Lebens aussortiert und getötet, zumeist mit Gas.

Den weiblichen Küken für die Legebatterien geht es nicht viel besser. Ihnen wird am ersten Tag ihres kurzen Lebens mit einem 800 Grad heissen Stahlmesser oder einem Infrarotstrahl der Schnabel amputiert, damit sie sich in den engen Ställen nicht zu Tode hacken.

Darf der Mensch so handeln? Sind Tiere Nutzartikel oder Gottes Schöpfung? Ist das gerecht? Ich meine nein. In unserer Verfassung  in Niedersachsen heißt es:

Tiere werden als Lebewesen geachtet und geschützt!

Wir wollen daher wegkommen, Tiere an die Ställe anzupassen. Ihnen Schnäbel oder Ringelschwänze zu amputieren und männliche Küken wegzuwerfen ist damit nicht vereinbar.

Gestern war ich bei einem Bauern in Klein-Süstedt zur Einweihung eines Wiederaufbaus seines abgebrannten Schlachthofes. Dieser macht es anders. Er mästet auch die männlichen Küken, wirft sie nicht weg und nimmt auf die Eier seiner Bio-Hühner einen Zuschlag von 4 Cent für den Bruder. Eier von der Bruderhahn-Iniative Deutschland, das ist der Zusammenschluss von Landwirten, die es anders machen, gibt es auch in Holzminden in Reformhäusern und Bioläden. Es ist eine neue Initiative von Menschen, die es nicht hinnehmen wollen, das kleine Küken am Tag ihrer Geburt nach Geschlecht sortiert und Hähne einfach als nutzlos weggeworfen und getötet werden.

Für mich ist Ernährung und der Umgang mit den Tieren eine Frage der Haltung, der Moral und der Religion. In allen Weltreligionen darf man Tiere nicht quälen. Tiere sind keine Ware, sondern Gottes Schöpfung. Und wie es in der Seligpreisung heißt, Gerechtigkeit macht satt!

Doch was hat unsere Form der industriellen Massentierhaltung mit dem Hunger in der Welt zu tun? Ein guter Freund, evangelischer Diakon und ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Entwicklungshilfe im Bundestag sagte mir einmal: Unsere Schweine, Hühner und Puten in Niedersachsen fressen das Brot der Armen. Wie das?

In Südamerika und Afrika werden Regenwälder abgebrannt, Moore trockengelegt, um darauf oft genmanipuliertes Soja für unsere Schweine und Hühner anzubauen. Denn unsere Schweine und Geflügel ernähren sich nicht mehr draussen von dem was in Niedersachsen wächst und gedeiht, sondern in hohem Maße von Futtermittelimporten, die aus anderen Ländern kommen.

Und dort werden nicht Lebensmittel für die hungernde Bevölkerung angebaut, sondern Futtermittel für unsere Millionen von Tieren.

Schon heute geht die Mehrheit der weltweiten Getreideernte nicht mehr in den Magen von uns, sondern in die Futtertröge unserer Nutztiere. Für ein Kilo Schweinefleisch, braucht man drei Kilo Getreide. Für ein Kilo Rindfleisch, sogar 10 Kilo Getreide und entsprechend viel Fläche.

Unsere Schweine, Hühner und Puten fressen das Brot der Armen.

Deshalb ist die Frage wie wir uns ernähren, ob wir zuviel Fleisch essen und aus welcher Haltung es stammt nicht nur eine Frage der Moral und der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage des Hungers für die Mitmenschen. Wenn wir weltweit alle soviel Fleisch essen würden, wie wir Europäer, bräuchten wir mehrere Erden um all das Futter anzubauen.

denn sie sollen satt werden, heißt es in Matthäus 6.

Für mich ist das ein Auftrag über den Tellerrand zu schauen und weltweite Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen, wie es etwa die Entwicklungsorganisationen wie Brot für die Welt tun.

Letztens habe ich mich in Braunschweig auf Einladung von Brot für die Welt mit einem Professor aus Ghana und einer Bauernorganisation aus Brasilien unterhalten.

Sie berichteten mir über die schrecklichen Auswirkungen unseres Ernährungsverhaltens auf die Armut in ihren Ländern.

„Keine chicken schicken!“ war eine Broschüre von Brot für die Welt überschrieben, die sich mit billigen Hühnerfleischexporten aus Europa nach Afrika auseinandersetzte.

Weil wir Verbraucher in Europa fast nur noch Hähnchenbrustfleisch ob nun im Salat oder als ChickenMcNugget verzehren, werden die Restteile wie Flügel, After etc. in großen Mengen nach Afrika geschickt und dort auf den Märkten zumeist ohne funktionierende Kühlkette verkauft. Neben Krankheiten wird damit den heimischen Bauern die Existenz geraubt. Die mit Steuergeld hochsubventionierten Hühnerfleischreste verzerren die Märkte und treiben einheimische Bauern in den Ruin.

In Ghana haben Importe von billigen gefrorenen Hähnchenteilen inzwischen fast die gesamte Geflügelproduktion zerstört, berichtete mir der Professor und bat um Hilfe. Es geht wieder um Gerechtigkeit für die Hungrigen und Dürstenden. Das Hühnerfleisch aus Niedersachsens Tierfabriken ist mit Steuergeld heruntersubventioniert um die Weltmärkte zu erobern.

Die Geflügelhalter in Afrika können mit den niedrigen Preisen des Importgeflügels nicht konkurrieren. Sie verkaufen nicht mehr kostendeckend, ihnen fehlt Geld für neue Küken und sie können ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen. Viele haben ihre Existenzgrundlage verloren.

Nicht nur das. Die gefrorenen Hühnerteile aus Europa gefährden die Gesundheit der Bevölkerung, denn in Ländern wie Ghana kann eine geschlossene Kühlkette oft nicht gewährleistet werden. Das Fleisch ist längst aufgetaut und ein idealer Nährboden für Bakterien, bis es nach dem Löschen im Hafen an den Verkaufsständen angekommen ist. Mehr als vier Fünftel der tiefgefrorenen Hühnerteile, die in Kamerun auf den Markt kamen, waren für den menschlichen Verzehr ungeeignet, so eine Untersuchung.

„Der Export der gefrorenen Hühnerteile ist ein Angriff auf die Bauern, auf die Gesundheit unserer Bevölkerung und auf unsere Volkswirtschaft“, sagt Bernard Njonga, Präsident der Bürgervereinigung ACDIC.

Inzwischen verweigern afrikanische Regierungen die Unterschrift unter Freihandelsabkommen mit der EU, solange ihre Kleinbauern nicht vor europäischen Dumpingprodukten geschützt sind. Das ist auch gut so.

Brot für die Welt schreibt am Schluss seiner Broschüre „Keine chicken schicken“:

Wir hoffen, dass auch Sie diese Broschüre überzeugt sich zu engagieren, damit Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Armut und Hunger nicht vermeintlichen Handelsinteressen der EU geopfert wird.

Sie können auch selbst durch nachhaltigen Konsum dazu beitragen, dass es zukünftig keine billigen Fleischreste mehr gibt, die zu Dumpingpreisen auf den Märkten West- und Zentralafrikas gehandelt werden und die Existenz der dortigen Produzentinnen gefährden.

Mit großer Sorge beobachten wir, wie viele neue Mastanlagen und Schlachthöfe in Deutschland gebaut werden, um noch mehr Fleisch zu exportieren. Wir unterstützen die Proteste vieler Bürgerinnen und Bürger gegen solche Großmastanlagen. Auch zum Schutz der Geflügelhalter in Afrika.“

Sie sehen auch wenn wir im Kreis Holzminden über große Geflügelmastanlagen etwa bei Dielmissen diskutieren, geht es um weltweite Gerechtigkeit, um Fragen der Ethik, der Religion, die Auswirkungen unseres Ernährungsverhaltens auf Andere und dem Vertrauen in Gottes Schöpfung.

Gut wäre es, wenn wir schon Tiere essen, wir würden wieder das ganze Huhn oder die ganze Pute zu verspeisen und nicht nur besonders edle Teile wie die Brust.

Über ein Drittel aller Lebensmittel werden in Deutschland weggeworfen, das ist viel zu viel.

Ich bin überzeugt: Lebensmittel sind mehr wert, haben eine höhere Wertschätzung und einen höheren Preis verdient. Die Arbeit unserer Landwirte und Tiere muss besser entlohnt werden.

„Geiz ist geil“ und billiges Fleisch ist nach meiner Überzeugung das Gegenteil von Mätthaus 6.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Aber nicht nur Tiere, sondern vor allem auch Menschen, werden ausgebeutet und um die Gerechtigkeit geprellt. Kurz nach meinem Amtsantritt habe ich zusammen mit dem Arbeitsminister einen Gipfel mit der Schlachtindustrie veranstaltet. Es ging und geht um Mindestlöhne und die oft menschenunwürdige Unterbringung und Arbeit in Niedersachsens Großschlachthöfen. Tausende Mitbürger aus Rumänien und Bulgarien arbeiten dort in schwerer Arbeit zu Hungerlöhnen, damit wir billiges Fleisch essen können.

Aufgedeckt hatte das ganze ein mutiger Kirchenmann, der Prälat Kossen aus Vechta, aus der Hochburg der Schlachtindustrie.

Der Kirchenvertreter, den ich gut kenne, hatte in seiner Gemeinde Tacheles gepredigt. „Ganz unbescholtene Bürger verdienen mitten unter uns kräftig an der Situation der Migranten mit, wenn abbruchreife Häuser für horrende Preise vermietet werden an Rumänen und Bulgaren“, kritisierte der Priester. Unternehmen könnten bei armselig bezahlten Leiharbeitern oder Werkverträglern nicht ihre Hände in Unschuld waschen, mit dem Hinweis die Entsendefirma sei zuständig.

Es sei nicht zu rechtfertigen, dass osteuropäische Arbeiter nur die Hälfte oder ein Drittel des Entgelts ihrer deutschen Kollegen erhielten. Einige Scharlatane brächten eine ganze Branche in Misskredit. „Sie arbeiten mit hoher krimineller Energie, erschreckender Menschenverachtung und mafiösen Strukturen“, predigte Kossen.

Ja, er sprach von moderner, krimineller Sklaverei mitten in Niedersachsen. Die Produkte seien fragwürdig und minderwertig. Zusammen mit den Gewerkschaften setze er sich für Mindeslöhne und menschenwürdige Bedingungen ein. Das sei sein kirchlicher Auftrag.

Eines morgens bekam er das abgezogene Fell eines Kaninchens vor die Kirchentür. Jedenfalls mutmaßte der Prediger, dass es sich um einen Gruß der Fleischbranche handele. Der Sprecher des bischöflichen Offizials interpretierte den „Gruß“ gar als Drohung. Das solle wohl heißen: „Wir ziehen Dir das Fell über die Ohren.“

 

Liebe Gemeinde,

ich bin stolz und froh über diesen mutigen Christen, dass er den Finger in die Wunde gelegt hat. Er gibt ein gutes Beispiel für uns alle, nachzudenken was wir essen und welche Folgen es hat. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, faire Entlohnung sind unser Hunger nach Gerechtigkeit.

Gerechte Preise für die Bauern, nachhaltige Erzeugung in Verantwortung vor den Mitmenschen und Gottes Schöpfung ist unser Dürsten nach Gerechtigkeit. Dann werden wir satt werden.

 

Amen

Zurück zum Pressearchiv